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Das Lehrerzimmer Kritik: Fake News in der Tabuzone

In „Das Lehrerzimmer“ erleben wir die Schule aus einer neuen Perspektive. Es ist die Miniaturversion unserer Gesellschaft und ein Exempel dafür, was deutscher Film leisten kann.

Schule findet in den unterschiedlichsten Räumen dieser deutschen Betonklötze statt. Ein Raum und dessen Innenleben bleibt aber wohl den meisten Schülern verschlossen. Das Lehrerzimmer ist für die Heranwachsenden ein Ort des Mysteriums, ein Raum, dessen grobe Züge man nur durch den Türspalt erahnen kann. İlker Çataks Film gibt nun aber Einblicke in eben diesen Raum und findet nicht zu unwesentlichen Teilen darin statt.

Im Zentrum steht die Junglehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch). Sie ist neu an dieser Schule und gerade im Vergleich zum restlichen Kollegium noch äußerst motiviert. Wir erleben sie als verständnisvolle Lehrerin, gar als Idealbild. Schon länger ist die Schule von einer Diebesserie geplagt, die Rektorin verfolgt eine Nulltoleranz-Politik, die auch zu einer Razzia innerhalb Nowaks Klasse führt. Es werden Unsicherheiten in der Klasse geschürt und Verdächtigungen aufgestellt, doch es ändert sich nichts.

Von der Situation mitgenommen, hat Nowak einen folgenschweren Einfall: Sie lässt die Webcam ihres Laptops laufen, um somit den oder die Täterin festzuhalten. Eine schuldige Person wird auch ausgemacht, doch damit spitzt sich die Situation zwischen Mutmaßungen, Fehlinformationen und Missverständnissen nur noch weiter zu.

Das Drama entfesselt sich schon ab den ersten Minuten. Die durchgeführte Razzia lässt die Sorgen im Gesicht der Hauptdarstellerin Leonie Benesch mit jeder Minute weiter anschwellen, unterlegt von einem hektischen, schon erdrückenden Soundtrack.

In Interviews erklärte Çatak, dass sein Film nicht grundsätzlich von der Schule handle, sondern von der Gesamtgesellschaft, die hier heruntergebrochen wird. Das als solches funktioniert äußerst gut, denn der Ballungsraum Schule versammelt auf ungleiche Weise ein Ebenbild der Gesellschaft. Debatten, die inzwischen häufig online geführt sind, sind in „Das Lehrerzimmer“ der Flurfunk. Es wird gemauschelt, Informationen werden verdreht und am Ende weiß keiner mehr, was wirklich vorgefallen ist. Besser kann man Themen wie Fake News und Cancel-Culture analog wohl kaum einfangen.

Auf einer zweiten Ebene ist der Film aber auch ein spannender Perspektivwechsel auf das Bildungssystem. Sowohl als Schüler als auch als Elternteil hat man kaum die Chance, in diesem Ausmaß hinter die Kulissen zu blicken. „Das Lehrerzimmer“ beleuchtet einzigartig den schwierigen Spagat der Lehrkräfte zwischen der Erfüllung des Bildungsauftrages, dem Umgang mit den Eltern und deren Erwartungen sowie den Problemen mit schulinternen Hierarchien und der Bürokratie.

„Das Lehrerzimmer“ ist ein packendes Kinoerlebnis, welches das gesellschaftliche Pulverfass innerhalb der Betonfassaden zur Explosion bringt. Es ist allen voran auch ein Beweis dafür, was deutscher Film leisten kann. Dass kleinere Regisseure und Darsteller nicht selten die bessere Leistung abliefern, mussten uns Streamingdienste vor einigen Jahren schon vorhalten. Jetzt wird es Zeit, dass sie auch im Kino vermehrt Einzug erhalten.

Nils Zehnder
90/100
Wertung
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