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Ingrid und Martha sitzen auf einer hellblauen Couch nebeneinander.

The Room Next Door Kritik: Schöner war der Tod nie

Der anstehende Tod ist die Wiederbelebung einer alten Freundschaft. In Venedig gewann das Drama „The Room Next Door“ den Goldenen Löwen. Eine Kritik darüber, was den Film so besonders macht.

Wer will sich im Kino schon mit dem Tod beschäftigen? Vor allem wenn er in einer so alltäglichen Gestalt wie einer Krebserkrankung daherkommt. Die Frage stellte sich vermutlich auch der Regisseur Pedro Almodóvar bei der Erschaffung seines neusten Werkes. Sicher ist auf jeden Fall, dass er einen Weg gefunden hat, das Thema so wohlig wie nur möglich in ein Drama zu gießen.

Ingrid (Julianne Moore) hat gerade ihr neues Buch fertiggestellt, das schnell zu einem Bestseller wird. Sie setzt sich darin mit ihrer großen Angst vor dem Tod auseinander und ahnt bis zu einer Signierstunde nicht, wie realitätsnah das Thema für sie werden wird. Unter den Anstehenden ist auch eine gute Freundin, die vom todbringenden Schicksal ihrer alten Freundin Martha (Tilda Swinton) erzählt.

Sie besucht ihre Freundin, woraus ein tägliches Ritual entsteht. Es geht viel um die Vergangenheit, in der Martha eine Kriegsjournalistin war. Der Tod ist für sie also kein Unbekannter, den Krieg führt sie inzwischen aber mit sich selbst.

Die Wahl der beiden Hauptdarstellerinnen hätte wohl kaum treffender ausfallen können. Tilda Swinton scheint es kaum Mühe abzuverlangen, die vom Leben gezeichnete und kühle Martha zu verkörpern. Julianne Moore hingegen spielt eine lebensbejahende Frau, die am Höhepunkt ihres Lebens angekommen ist.

Schon die Blicke in die Vergangenheit zeigen, dass Marthas Leben, wie beispielsweise die problematische Erziehung ihrer Tochter, nie einfach war. Umso nachvollziehbarer wird es, als sie ihre Freundin um einen großen Gefallen bittet: Bevor sie unter schweren Schmerzen immer weiter an Lebensqualität verliert, wünscht sie sich ein gutes Ableben. Ingrid soll ihr dabei helfen. Nicht aktiv, sondern als begleitende Person zu einer im Wald liegenden Unterkunft.

Wir begleiten also die letzten Tage einer krebskranken Frau, die ihr Leben frühzeitig beenden will. Ein schwermütiges Thema, das man aber bedeutend bunt darstellt. Nicht verherrlichend, sondern sich tief mit der Sterbehilfe auseinandersetzend. Die beiden Figuren sind so konstruiert, dass sie gegensätzliche Ansichten zum Tod haben. Während sich Ingrid der Freundschaft wegen überreden lässt, macht ihr der lockere Umgang von Martha mit dem baldigen Ende merklich zu schaffen.

Sowohl in den USA als auch in Deutschland wird dem Thema kontrovers und mit rechtlichen Schwierigkeiten begegnet. Während hierzulande das Bundesverfassungsgericht 2020 den Grundstein für einen ärztlich begleiteten Tod gesetzt hat, bleibt die Sterbehilfe beispielsweise wegen fehlender zugelassener Medikamente noch immer kaum praktikabel.

Wie schön das Leben trotz der Widrigkeiten sein kann, verdeutlicht man durch die Naturverbundenheit der Unterkunft. Es ist ein Zurückkehren aus der dröhnenden Stadt hin zum Reduzierten. Trotz der Umstände genießen die beiden eine Zweisamkeit, wie sie diese zuvor wohl nie erlebt haben. Durch John Turturros Charakter Damian bringt man außerdem noch eine weitere Perspektive ins Spiel. Er versucht Problemen vor allem faktisch und neutral zu begegnen, verliert dadurch aber gewisse Zugänge zum Leben. Ein cleverer Kniff gelingt damit aber nicht wirklich, zu gezwungen wirken die Dialoge und Verknüpfungen zur Resthandlung.

„The Room Next Door“ ist eine denkbar wohlige Auseinandersetzung mit dem Tod. Man versucht nicht die eine Antwort zu finden, sondern lässt Raum für eigene Gedanken. Sowohl Martha als auch Ingrid sind nicht auf ihren Positionen festgefahren, sondern müssen sich authentisch an die Umstände anpassen. Ein Gefüge, wie es eigentlich nur das Leben schreiben kann.

„The Room Next Door” wurde im Rahmen der 81. Filmfestspiele von Venedig gesichtet. In Deutschland startet der Film ab dem 24. Oktober 2024 im Kino.

Nils Zehnder
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