Nachdem Luca Guadagnino mit „Challengers“ erst vor ein paar Monaten einen großen Hit landen konnte, steht mit „Queer“ sein nächster Film an. Mit „Call Me by Your Name“ hat der Film wenig gemeinsam.
Luca Guadagnino bannt wie kaum ein anderer Sex auf die Kinoleinwand. Mal weniger explizit, mal als Sportmetapher verpackt oder wie jetzt in „Queer“ ziemlich direkt gezeigt. Während man das Liebesspiel der zwei Protagonisten kaum zu verstecken versucht, sind dafür andere Teile der Erzählung schwieriger zu entschlüsseln.
Der Ex-Bond-Darsteller Daniel Craig spielt den Schriftsteller Lee. Seine Schreibmaschine nutzt er inzwischen aber viel mehr als Dekoelement. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist er von den USA nach Mexiko ausgewandert. Mit seinem verdienten Geld kann er dort gut leben. Sein Umzug hat aber viel wichtigere Gründe: Sein exzessiver Drogenkonsum hätte ihm in seiner Heimat nur Probleme beschert.
Jetzt verbringt er seine Zeit vor allem damit, tags und nachts durch Bars und Cafés zu ziehen, um dort neben viel konsumiertem Alkohol Männer aufzureißen. Eines Tages sticht ihm der deutlich jüngere Allerton (Drew Starkey) ins Auge. Während erst noch unklar ist, ob dieser auch queer sein könnte, kommt es, wie es kommen muss und sie verbringen eine gemeinsame Nacht.
Lee wünscht sich deutlich mehr als dieses eine Abenteuer und entwickelt eine starke Obsession, die allerdings einseitig zu bleiben scheint. Schon beim ersten sexuellen Aufeinandertreffen zeigt uns Guadagnino, wie einseitig die Ambitionen von Lee doch sind. In seiner Verzweiflung bietet Lee dem jungen Mann ein Arrangement an: Er könne gratis mit ihm nach Südamerika reisen und würde dafür lediglich zweimal die Woche Sex verlangen.
Die Beziehung, wenn man sie so nennen kann, entfremdet sich immer weiter, während auch Lees Drogenproblem ernst zu nehmender wird. Die Reise in den Dschungel Südamerikas soll ihm da in zweierlei Hinsicht helfen. Dort verborgen lässt sich die Droge Yage auch bekannt als Ayahuasca finden. Neben einem einzigartigen High wird ihr nachgesagt, die telepathischen Fähigkeiten der Menschen zu erhöhen. Für den verbitterten Lee eine willkommene Chance, einen Zugang zu Allerton zu finden.
„Queer“ basiert zumindest lose auf dem autobiografischen Roman des Schriftstellers William S. Burroughs. Spätestens nach der Ankunft in Südamerika versucht der Film aber nicht mehr, nah an der Vorlage zu bleiben. Stattdessen sind es surreale Bilder eines Drogentrips, die man ganz ähnlich wie bei David Lynch entschlüsseln muss.
Daniel Craigs Figur unterscheidet sich stark von dem, was der Darsteller in seiner Karriere gespielt hat und zeigt, welch Potenzial da die letzten Jahre größtenteils ungenutzt schlummerte. Spätestens wenn er in seinem weißen Anzug zum Nirvana-Song „Come As You Are“ durch die Stadt stolziert, als wäre er der ansässige Sheriff, ist das an coolness kaum zu überbieten. Aber auch sein späteres physisches wie psychisches Leiden hätte man wohl kaum besser verkörpern können.
Nachdem Luca Guadagnino mit „Challengers“ einen überaus mainstreamtauglichen Film geschaffen hat, dürfte „Queer“ sicherlich den ein oder anderen Zuschauer verschrecken. Vieles wird hier nicht überdeutlich auserklärt und bedarf mehrerer Sichtungen – und vermutlich Filmversionen. Denn „Queer“ wurde für das Kino massiv gekürzt. Erscheinen wird das Drama mit einer Laufzeit von 2 Stunden 15 Minuten, es gibt aber wohl auch eine Fassung, die über 3 Stunden dauern soll. Dahinter könnte zwar nur noch mehr Surrealistisches stecken, vielleicht aber ergibt sich ein ganz anderer Eindruck als bisher und ein wenig Entschlüsselung.
„Queer” wurde im Rahmen der 81. Filmfestspiele von Venedig gesichtet. Ein deutscher Starttermin steht noch aus.