Nach einer bewegten Produktionsgeschichte lässt Marvel die ehemalige Netflix-Serie „Daredevil“ in „Born Again“ wiederauferstehen. Man knüpft an alte Stärken an, ist aktueller als je zuvor und schwelgt in ganz viel Nostalgie.
Als im Frühjahr 2015 die erste Staffel von „Daredevil“ bei Netflix startete, war Disney noch dabei, die groß werdenden Streamingdienste – für einige Jahre – zu ignorieren. Die Serie musste dadurch nicht in Disneys (mehr oder weniger) familienfreundliches MCU eingegliedert werden, sondern konnte freidrehen. Selten waren Superhelden zuvor düsterer und expliziter. Erst Prime Videos „The Boys“ sollte diese Ausartungen Jahre später in den Schatten stellen.
Die Geschichte von Born Again setzt einige Jahre nach dem Ende der dritten und finalen Staffel von „Daredevil“ an. Matt Murdock (Charlie Cox) arbeitet weiterhin als Anwalt in New York. Sein Schattendasein als Daredevil hat er mittlerweile jedoch abgelegt. Das droht sich zu ändern, als sein ehemaliger Widersacher Wilson Fisk aka Kingpin (Vincent D’Onofrio) zurückkehrt und sich als rechtschaffener Bürgermeister der Stadt präsentiert.
Bereits 2022 angekündigt, verzögerte sich die Produktion von „Daredevil: Born Again“ mehrfach. Ursprünglich war es angedacht, die Serie losgelöst von der bisherigen Produktion zu gestalten. 18 Episoden sollte die erste Staffel umfassen. Schlussendlich ist man bei einem recht großen Kompromiss gelandet: Statt der für Disney+ so häufigen 6 Episoden sind es immerhin 9 geworden und mehrere Darsteller sind im Cast zurückgekehrt.
Man merkt allerdings schnell, welche Charaktere nur behelfsmäßig zurückgebracht wurden. Schon nach wenigen Minuten lässt man die ersten Figuren wieder von der Bildfläche verschwinden. Das ist nicht nur für die Fans von damals ärgerlich, Zuschauer, die neu dazukommen, haben auch gar nicht die Chance, eine emotionale Bindung aufzubauen. Auch was sich in der Freundesgruppe in den Jahren verändert hat, bleibt ungeklärt – dabei war die Dynamik zuvor eine der großen Stärken.
Diese Uneinigkeit darüber, wie viel man jetzt auf das Original verweisen will, zieht sich durch die gesamte Staffel. Ein Rewatch der bisherigen Folgen lohnt sich durchaus. Dann muss man jedoch mit einigen Déjà-vus leben: „Daredevil: Born Again“ arbeitet sich einem Best-of ähnelnd an den ikonischsten Momenten der Netflix-Serie ab. Das heißt im gleichen Atemzug, dass man genau so brutal und düster geworden ist, allerdings finden sich auch kaum neue Ansätze. Jeder hier gezeigte Gewissensbiss, jede Unzuverlässigkeit von Matt wurde so oder so ähnlich schon besser in „Daredevil“ gezeigt.
Besser vor allem deshalb, weil man sich vier Episoden mehr pro Staffel zeitnehmen konnte und bessere Verknüpfungen schuf. Nicht nur erzählte „Daredevil“ die Vorgeschichte des roten Rächers, sie lieferte auch den Vorbau für weitere Superheldenserien bei Netflix und das Ensemble-Projekt Defenders. Daredevil reiht sich somit in die letzten Kinofilme von Marvel ein, bei denen man nicht das Gefühl bekommt, das ein größeres Ganzes wie noch bei der Infinity-Saga vorbereitet wird.
Die Handlung ist hingegen durchaus gewagt und unangenehm aktuell. Kingpins Ambition, als verurteilter Krimineller einen Posten in der Politik wahrzunehmen, kommt nur zu bekannt vor. Die herrschende Polizeigewalt in den USA ist ein zentrales Motiv. Wenn beispielsweise Politikschaffende wegen abweichender Meinung bedroht und ausgetauscht werden oder eine exekutive Taskforce direkt dem Bürgermeister unterliegt, dann erinnert das nicht nur in Zügen an das Project 2025.
„Daredevil: Born Again“ bringt vieles zurück, was Fans an der Netflix-Serie liebten – oft aber nur in Form eines Déjà-vus. Die düstere Atmosphäre und starken Hauptdarsteller machen sehr viel Spaß, aber strukturelle Probleme und eine unentschlossene Erzählweise verhindern noch, dass die Serie ihr Potenzial ausschöpft. Eine zweite Staffel soll 2026 erscheinen, nach dem offenen Ende wäre sie eher Born Again 1.5 und damit dringend nötig.
„Daredevil: Born Again“ läuft seit dem 5. März 2025 im Abo von Disney Plus. Zum Start sind zwei Folgen verfügbar, die restlichen Episoden werden jeweils wöchentlich beim Streamingdienst veröffentlicht. Für diese Kritik wurde vorab die gesamte Staffel gesichtet.